Turbulente Ereignisse verhalfen den Kaisenhäusern in den vergangenen Jahren zu einer unerwarteten Aktualität, mit der eigentlich niemand mehr gerechnet hatte, und führten zu einer neuen Auseinandersetzung um den Fortbestand der letzten Häuser mit ihrer langen Geschichte. Das außerordentlich erstaunliche Ergebnis dieses Streits ist eine Wende in der Politik, um die einige seit Jahrzehnten kämpfen: Es ist erlaubt, intakte Kaisenhäuser als Gartenhäuser dauerhaft zu erhalten – zwar ohne Wohnrecht, aber immerhin. Das Ganze wurde schriflich fixiert in der Dienstanweisung 422 vom 5.3.2015. Nun benötigt meine Dokumentation zur Geschichte der Kaisenhäuser, „Mehr als ein Dach über dem Kopf – Bremens Kaisenhäuser“, die seit 2012 vorliegt, ein neues ‚letztes‘ Kapitel. Es soll den Arbeitstitel „2013-15. Totgesagte leben länger“ tragen. Hier fasse ich die Ereignisse, von denen es handeln wird, grob zusammen.
Mal wieder ein „Einzelfall“ 2012 und 2013 …
In diesem Kapitel wird die Rede sein von Harry G., einem engagierten Rentner, dem 2013 behördlich verordnet das Dach über dem Kopf abgerissen worden war. Er hatte seit ein paar Jahren ohne Wohnberechtigung auf der Parzelle in einem Kaisenhaus gelebt. Es wird die Rede sein von seiner Anzeige gegen dieses massive, unverhältnismäßige Vorgehen der Stadtverwaltung. Die drastische „Maßnahme“ und die vom widerständigen Harry G. durch Presse und TV mobilisierte Öffentlichkeit wurden Auslöser für den erneuten grundsätzlichen Streit um den zukünftigen Umgang mit Kaisenhäusern – ein Streit, mit dem niemand mehr gerechnet hatte, nachdem 2002 mit dem „Kudella-Beschluss“ die „Bereinigung“ beschlossen worden war.
In zwei Wellen brandete der Konflikt auf: Der unmittelbare Protest beginnt etwa im Sommer 2012 und zieht von Januar bis Spätsommer 2013 weitere Kreise [ausführliche Zusammenfassung hier]. Dann trat eine Flaute ein, die fast ein Jahr währte: In der Öffentlichkeit war kaum mehr etwas zur Sache zu hören. Die Debatte um die erste Große Anfrage der Linksfraktion in der Sache wurde in der Bürgerschaft mit den üblichen Argumenten abgelehnt.
… führte zur „Grundsatzdebatte“ mit Konflikt in der Koalition im heißen Sommer 2014
Völlig unerwartet kam im Juni von Bausenator Joachim Lohse der Vorschlag für einen völlig neuen Weg im Umgang mit intakten Kaisenhäusern: Der Bausenator befürwortete die „Toleranz im Umgang mit Kaisenhäusern“ (Weser-Kurier 14.6.2014) und erklärte, es wäre sinnvoll, diese Gebäude zukünftig als Gartenhäuser – ohne Dauerwohnrecht – in den Parzellengebieten zuzulassen.
Es konnte festgestellt werden, dass dieser Weg 1. rechtlich mit dem Bundeskleingartengesetz § 18 vereinbar ist, und davon 2. keine Gefährdung für den Status der Kleingartengebiete ausgeht, denn Kaisenhausgärten machen mit 3,9% nur einen sehr geringen Anteil an der Gesamtzahl der Parzellen in Bremen aus.
Die Wellen schlagen erneut hoch. 2014 wird ein heißer Sommer mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen von Bewohnerinitiativen und Sympathisanten zugunsten der Häuser. In der Koalition kommt es zu einem echten Konflikt, der zwischen Juni und Oktober 2014 ausgetragen wird. Die Positionen von Bündnis ’90/Grüne und SPD sind gegensätzlich: „Friede den Hütten“ ist eine Schlagzeile der taz.bremen am 26.6.2014, die die Position der Grünen treffend beschreibt. Der Weser-Kurier stellte den „Konflikt um Kaisenhäuser“ zwischen SPD und Grüne fest (20.8.2014). Die Linksfraktion engagierte sich, wie bereits geschildert, für den Erhalt der Kaisenhäuser ausdrücklich einschließlich Dauerwohnrecht in den noch vorhandenen Bauten und damit für den Bestand dieser besonderen Gartenwohnkultur.
Drei Politiker_innen, die sich bereits seit längerer Zeit engagiert für eine Mehrheit zum Erhalt der Kaisenhäuser stark mach(t)en, dabei allerdings unterschiedlich weit gehen wollen, müssen in diesem Kapitel unbedingt genannt werden: Es sind Maike Schaefer/Grüne und Klaus Möhle/SPD sowie Claudia Bernhard/LINKE.
Viele Menschen, Gruppen und Vereine setzten sich in einer breiten Bewegung mit unterschiedlichen, öffentlich wirksamen Aktionen und in Gesprächen mit Politikern für den Erhalt intakter Kaisenhäuser ein. Zentral zu nennen ist die Interessengemeinschaft der Parzellenbewohner e.V. Eine Podiumsdiskussion (Die LINKE/Kleingärtnerverein „Min Land“ e.V./IG Parzellenbewohner 2013) und mehrere Petitionen (eine an die Bürgerschaft gerichtet 2013 und eine weitere an den regierenden Bürgermeister und verantwortliche Politiker der Regierungskoalition 2014) gehörten dazu. Direkt betroffene Menschen, die ihr Kaisenhaus zukünftig weiternutzen wollen, wendeten sich mit Schreiben direkt an den Bausenator. Eine Vielzahl von Leserbriefen wurde geschrieben und veröffentlicht, eine Briefaktion 2014 an den Bürgermeister realisiert sowie eine Postkarten- und eine Plakataktion der Interessengemeinschaft der Parzellenbewohner e.V.
Mit „Gärtnern in Bremen“ begleitete mein Blog die jüngsten Auseinandersetzungen zeitnah mit einer Fülle ergänzender Informationen, vielen Beispielen der Qualität intakter Kaisenhäuser und Hinweisen zu aktuellen Vorgängen. Hier fanden Infos Raum, die in der Tagespresse nicht aufgegriffen wurden. Recherchen führten z.B. nach Ostfildern bei Stuttgart, wo es eine ganz ähnliche Situation im Außenbereich gab, der städtische Umgang aber ganz anders war: Dort hat man Wohnhäuser mit einem Dauerwohnrecht versehen ausnahmsweise dauerhaft erhalten. Der einzige Unterschied war, dass es sich um ein Erholungsgebiet handelte [siehe hier]. Das Blog www.kaisenhaus-bremen.de informierte ebenfalls seit längerem. Beide Blogs und sozialen Netzwerke verhalfen zu mehr Transparenz im Konflikt und erreichten eine weite Öffentlichkeit.
Mit meiner Dokumentation „Mehr als ein Dach über dem Kopf – Bremens Kaisenhäuser“ lag erstmals auch eine sorgfältig recherchierte Dokumentation zur Geschichte der Kaisenhäuser von 1944 bis 2002 vor. (Anerkennungspreis der Wittheit zu Bremen 2013)
Feststellbar war und ist allgemein ein großes Interesse bei Bremerinnen und Bremern an der Geschichte der Kaisenhäuser. Das zeigt sich an der Zahl der Besucher im Kaisenhausmuseum in der Waller Feldmark, bei meinen gut besuchten Vorträgen an verschiedenen Orten und im abwechslungsreichen Bildungsurlaub „Kaisenhäuser“ an der Volkshochschule Bremen, den ich dort seit 2012 jährlich mehrmals erfolgreich anbiete.
Der Landesverband der Gartenfreunde Bremen e.V. erkannte das große Potential, dass im Erhalt intakter Kaisenhäuser als Gartenhäuser liegt, leider nicht. Er lehnte jedwede Änderung kategorisch ab und pochte auf die Einhaltung der Vereinbarungen von 2002. Das Haushaltsnotlageland mit Schuldenbremse in der Verfassung wird jedoch mit an Sicherheit grenzender Warscheinlichkeit auch in den kommenden Jahren nicht in der Lage sein, alle leer stehenden Kaisenhäuser zeitnah abzureißen, mit negativen Folgen für die Kleingartengebiete. Der Landesverband muss sich fragen lassen, warum sie gegen intakte Häuser nicht erhalten lassen will, und sie leiber über Jahre und Jahrzehnte verfallen lassen will? Kleingärten mit intakten Häusern werden sicherlich weiter genutzt und gepflegt werden und bleiben noch viele Jahrzehnte nützlich – Voraussetzung ist natürlich, dass die Pächter hierfür die notwendige Rechtssicherheit erhalten. Übrigens gibt es schon jetzt erfolgreich laufende Gemeinschaftsprojekte und Privatgärten auf Parzellen mit intakten Kaisenhäusern. Von ökologischen und sozialen Initiativen, Beschäftigungsträgern und Privatpersonen werden schon seit mehreren Jahren in verschiedenen Stadtteilen (Schwachhausen, Findorff, Woltmershausen und Mitte) auf Parzellen mit Kaisenhaus Projekte realisiert. Hier wird in guter Nachbarschaft ertragreich gegärtnert. Ein Beispiel findet sich im Kleingärtnerverein Harmonie e.V. in Schwachhausen, das von der früheren Spitze im Landesverband der Gartenfreunde Bremen e.V. (Helms/Klepatz) ausdrücklich gefördert wurde und das ich hier beschrieben habe. Deutlich wird, dass die Kleingärtnervereine, die sich unter dem Dach des Verbands sammeln, unterschiedliche Auffassungen in dieser Frage haben. Im Weser-Kurier steht daher „Kleingärtner uneins über Regeln für Kaisenhäuser“ (29.11.2014).
Durchbruch im November 2014 – die politische Wende
Mit dem gemeinsamen Positionspapier von SPD und Grüne kam es im November zu einem echten Durchbruch für die Zukunft von Kaisenhäusern: Intakte Kaisenhäuser sollen zukünftig als Gartenhäuser bleiben dürfen. Das Papier wurde in der Deputation für Umwelt, Bau und Verkehr diskutiert. Die Große Anfrage der Linksfraktion stand im Dezember 2014 in der Bürgerschaft im Dezember zur Debatte [hier mehr dazu]. Am 3. März wurde die neue Dienstanweisung 422 schließlich in der Deputation verabschiedet und damit die politische Wende im Umgang mit intakten Kaisenhäusern offiziell festgeschrieben: Intakte Kaisenhäuser dürfen als Gartenhäuser erhalten bleiben – ohne Wohnrecht. Alle bisher bestehende Wohnrechte bleiben unangefochten bestehen. Dazu kommen weitere Punkte. Zwangsabrisse, wie im Eingangs genannten „Einzelfall“, soll es in Zukunft nicht mehr geben und eine Übertragung des Wohnrechts auf Ehepartner Wohnberechtigter wird möglich. Bis zur Vorlage eines Kleingartenplans 2025, der noch zu erarbeiten sein wird, löst diese Dienstanweisung die „Kudella-Vereinbarungen“ ab. „Schrottimmobilien“ sollen auch weiterhin abgerissen werden. Das soll – angesichts der Haushaltslage – nach und nach geschehen.
Die verbliebenen, intakten Kaisenhäuser erhalten nun endlich eine Zukunft. Mit sich ändernder Nutzungsart werden die individuellen Gebäude mit DIY-Architektur die Parzellengebiete weiterhin als Teil bremischer Geschichte und als individuelle Familiengeschichten bereichern – als belebte historische Zeugnisse.
Man wird sehen, was der Kleingartenplan 2025 für die Kaisenhäuser bringen wird.
„Totgesagte leben länger“
Es gibt deutlich schlechtere Gründe, ein neues Kapitel für ein Buch schreiben zu müssen.
aktualisiert am 6.5.