‚Wind zog auf‘ – Schau von Gabriela Oberkofler im Haus Coburg Delmenhorst

Es ist die Natur, die Gabriela Oberkofler Stoff für ihre künstlerische Arbeit liefert, so heißt es im Flyer zu Schau Wind zog auf. Angekündigte sind Zeichnungen „verlockender wie verstörender Naturstücke“ sowie Objekte, Videos und Soundarbeiten. Anlass genug, die Ausstellung in der Städtischen Galerie Delmenhorst – Haus Coburg zu besuchen und hier davon zu berichten. Mich zieht auch das temporäre Atelier der Künstlerin mit Bienen-Installation in einem Schrebergarten in der Graft und die Mitmachausstellung für Kinder im „Gewächshaus“ an.

Flyer mit Programm zur Schau von Gabriela-Oberkofler

HausCoburg_Oberkofler_Plakat

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stetes Summen empfängt die Besucher*innen, sobald sie die Städtische Galerie Delmenhorst durch den Windfang betreten. Das dezente und gleichzeitig kräftige Summen gehört definitiv nicht zu einer Maschine, sondern klingt als stamme es von Insekten, und zwar von sehr, sehr vielen Insekten. Woher rührt das an- und abschwellende Summen, das einem in die Natur vertraut erscheinen würde und hier im Inneren des Hauses irritierend wirkt? Steht ein Fenster offen? Im Frühjahr höre ich manchmal ähnliche Töne, wenn ich unter einem großen, voll erbühten Obstbaum stehe – dann sind sie Warnung und ein Versprechen auf köstliche Früchte und süßen Honig. Das Geräusch erinnert mich aber auch ein wenig an einen ausgebüxten Bienenschwarm, der sich einmal nahe meiner Wohnung am Schornstein gesammelt hatte, vielleicht 10 Meter Luftlinie entfernt vom Balkon. Das Summen der abertausend fliegenden Lebewesen, die sich ständig in einer Traube mit wandelnder Form umeinander bewegten, hatte bedrohlich gewirkt.

Ausgewählte Eindrücke der vielfältigen Schau der italienisch-deutschen Künstlerin Gabriela Oberkofler (*1975 in Bozen) geben ich gern. Im Eingangsbereich hängt eine Serie von Miniaturzeichnungen einzelner Bienen, die an das Summen im Haus anknüpfen. Der rote Punkt neben den Titeln signalisiert, dass sie bereits verkauft sind. Der auf dem Plakat gezeigte Wolf ist eine lebensgroße Zeichnung des Tieres. Er scheint in sich zu ruhen und ist mit dem Betrachter auf Augenhöhe. Der Wolf scheint direkt auf den Betrachter zu zulaufen. Dieses Bild hat eine außerordentlich starke Wirkung auf mich. Eine Videoinstallation namens „Don Juan“, deren Hauptakteur ein humpelnder Hund ist, steht im krassen Gegensatz zum Wolfsmotiv. Von der Decke hängt mit dem Kopf nach unten ein detailreich, sorgfältig geschnitztes Rotkehlchen in Lebensgröße. Es ist an einem Fuß aufgehängt und erinnert mich an eine grausame Praxis früherer Jahrzehnte zur Abschreckung von Vögeln aus Obstbäumen. Vogelgezwitscher und das Gurren einer Taube ziehen meine Aufmerksamkeit zu einer Videoinstallation, die damit beginnt, dass die Künstlerin eine gefangene Taube in einen selbst gefertigten Vogelbauer setzt, um sie in die freie Natur zu bringen. Die Geschichte nimmt einen ganz anderen als den erwarteten Verlauf – und soll hier nicht vorweg genommen werden. Ausgestellt sind mehrere architektonische Variationen des im Video gezeigten Vogelbauers, die alle sorgfältig aus Kirschholzästchen gefertigt sind. Ein großes Bild, das auch den Ausstellungsflyer ziert, kann überbordende, wallende Blütensträucher darstellen, ähnlich des Goldregens. Auf dem Bild sind es gelbe und rote Blüten. Bei näherer Betrachtung stellt sich überraschenderweise heraus, dass es (aber)tausende von kleinen, gezeichneten Bienen sind aus denen das Motiv wesentlich besteht. Über welch eine Geduld die Künstlerin neben ihrem Können verfügen muss, um dieses Bild zu schaffen! ‚Emsig wie eine Biene‘ kommt mir als Beschreibung in den Sinn. Reizvoll finde ich übrigens, dass Gabriela Oberkofler extra für die Ausstellung verschiedene Bezüge zur Stadt Delmenhorst erarbeitet hat. Die Städtische Galerie ist für die vielseitige Künstlerin nicht nur ein leerer Raum, in dem sie ihre Exponate arrangiert, sie bespielt die vorhandenen Räume vielmehr, diese werden teilweise zum Bestandteil der Schau. Einige Aspekte auch der örtlichen Natur werden von Gabriela Oberkofler transformiert und punktuell nach innen geholt. Der Wasserstand der Graft wurde in einem Raum auf die Wände „aufgetragen“, Totholz von der Graftinsel findet sich als Installation im Wintergarten und das Summen vieler Bienen, das in allen Räumen zu hören ist, stammt aus der Natur. Besonders dieses Summen (und das Vogelgezwitscher der Videoinstallation) scheint  die Grenze zwischen Innen und Außen verschwimmen zu lassen.

Gabriele Oberkofler formt in ihrem vielseitigen Werk Eindrücke, die jenseits einer verklärenden Naturidylle liegen. Die genau beobachtende, vielfältig talentierte Künstlerin greift vielmehr fragile und zarte Seiten von Natur auf, deutet eine (mögliche) Bedrohung durch Natur an, stellt den Aspekt zur domestizierten Natur her und verweist auf das Nährende durch sie. Gezeigt werden die in der Ankündigung treffend versprochenen verlockenden wie verstörenden Naturstücke in der sehenswerten Schau.

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Mein Ausflug führt mich nun ins „Gewächshaus„, direkt neben der Städtischen Galerie, in dem begleitend zur Schau individuelle Werke von Kinder entstehen und ausgestellt werden. Das „Gewächshaus“ erhält hier nochmal eine neue Bedeutung, hier wird das Wachsen der Kreativität heranwachsender Kinder gefördert. Wer Oberkoflers Schau besucht, sollte sich unbedingt Zeit für die sehenswerten Bilder nehmen.

Im Garten des Hauses Coburg läßt sich hinter einem von Kindern angelegten Blumengebiet (!) die auf dem Foto gezeigte Bieneninstallation, die Gabriela Oberkofler mit zwei echten Bienenvölkern des Imkers Uwe Roselieb kreiert hat, betrachten.Stechgefahr

Jetzt zieht es mich noch zur Delmenhorster Graft, eine überraschend schöne Parklandschaft in der Delmenhorster Innenstadt mit hochgewachsenen alten Bäumen und blühenden Rhododendren rund um die Graftinsel, wo sich in einem der letzten, versteckt liegenden Schrebergärten das „Schwalbennest“, das mobile Atelier der Künstlerin befinden soll. Auf der Graftinsel liegen mehrere Haufen sorgfältig geschichteter toter Äste. War dabei die Hand der Künstlerin im Spiel oder hat sie sich hier für ihre Installation im Wintergarten Material und Inspiration geholt? Graftanlage

Rhodo_Graft_bearbInmitten alter Bäume und hinter einer hohen, frisch belaubten Hainbuchenhecke entdecke ich schließlich den verwunschenen Garten (Öffnung nach Vereinbarung) und bin einigermaßen verblüfft. Es ist ein wenig so als stünden im Bürgerpark Kleingarten-Parzellen. Hinter der Hecke schimmert das „Schwalbennest“ durch und Oberkoflers summende Bienen-Installation „Roseliebsche Beute“. Der Spaziergang durch diese großzügige Parklandschaft ist ein gelungener Abschluss des lohnenswerten Ausstellungsbesuchs. Die Schau läuft noch bis zum 5. Juni 2015.Graft_bearb

 

edit: 22.4. 15.00 Uhr

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